Lasst die Spiele beginnen
An diesem warmen Frühsommertag lassen es die Eichhörnchen ruhig angehen, aus luftiger Höhe beobachten sie das seltsame Schauspiel im Mikrokosmos unter ihnen.
Der Platz ist gut besucht. Auf den Bänken sitzt das gespannte Publikum, Sitzplätze sind rar.
Überall begrüßt man sich oder vertieft sich in ein Alltagsgespräch, schließlich hat der Kampf ja noch nicht begonnen.
Die 32 großen Kunststofffiguren werden aus ihren Holzkisten genommen und auf die Startposition gesetzt.
Was mag den Spielern in diesem Moment durch den Kopf gehen? Überlegen sie sich vielleicht – wie die Gladiatoren vor tausenden von Jahren bei den grausamen Spielen im römischen Kolosseum – eine Überlebensstrategie? Es wird ihr Geheimnis bleiben.
Wer sich hier an das Brett traut, muss jedenfalls gut gewappnet sein!
Unterdessen diskutiert man eifrig über die anstehende Begegnung. Eine vielversprechende Paarung.
Ein Karlsruher Lokalpolitiker (J) gegen einen Mitarbeiter des Badischen Staatstheaters (K).
„Weiß oder Schwarz?, fragt J.
„Ist mir egal“, entgegnet K., „ich gewinne doch sowieso“.
Diese, mit Testosteron geladenen, rhetorischen Manöver gehören zur psychologischen Kriegsführung. Eine Disziplin die jeder Schlossgartenspieler aus dem Effeff beherrschen sollte.
„Na, na, mein Lieber, so voreilig?“ Entgegnet J. mit einem sonoren Bass, mit dem er sicher auch bei politischen Veranstaltungen punktet.
J. Ist von hagerer Gestalt. Unter der hohen Stirn trägt er eine Brille.
Seine lebhaften Augen betrachten kritisch den Gegner. Während der Partie verschränkt er gerne die Arme vor der Brust und streicht sich dabei gleichzeitig nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn.
K. Ist etwas fülliger und ein Stück kleiner. Er hat lange schwarze Haare, mit zunehmenden Alter mischen sich, wie kann es anders sein, einige graue Störenfriede dazwischen.
Jeans und T-Shirt, solange die Temperatur es zulässt, sieht man K. fast ausschließlich in dieser zeitlosen Uniform.
Sein großer Mund mit den vollen Lippen verrät den Genießer. Wenn es sein muss, legt er sein Pokerface auf. Schließlich will man seinem Gegner nichts verraten.
Alle paar Minuten greift er zum Tabaksbeutel, um sich eine neue Kippe zu drehen, die er sich dann gedankenverloren ins Gesicht steckt.
Man stelle ihn sich mit goldenen, runden Ohrringen vor, er würde prächtig auf ein Schiff des gefürchteten Piratenkapitäns Captain Blackbeard aus vergangenen Zeiten passen.
„Wir wollen was sehen, geht’s bald los?“, ruft ein Herr, der sich seit zehn Jahren jeden Tag zur gleichen Zeit auf die gleiche Bank setzt.
Wer das weiß, darf getrost die Uhr danach stellen, um 14:25 nimmt er Platz. Eine Figur hat er in diesen langen Jahren noch nie bewegt.
Tolle Beschreibung der Atmosphäre.
Titel sind auch such schon vergeben :
– Flüsterer
– Unbesiegbarer
– Bundestrainer
– Haubitze
Da kann niemand behaupten, beim Schach gibt es keine Emotionen
Nicht zu vergessen: Intercity, der Unbesiegbare, Jean-Paul und viele andere…
Jean-Paul ist der Beste !
Sehr schöne Beschreibung eine „ganz normalen Tages“ an der Schachanlage. Wunderbar von Dir in Worte gefasst und herrlich wie genau Du die unterschiedlichen Charaktere getroffen hast.
Manchmal ist das Drumherum des Spieles wesentlich interessanter als das Spiel selbst! Wer es nicht glaubt, einfach sich selbst ein Bild machen, täglich ab 15 Uhr 😉
Lieber Guido,
freut mich! Den Text hatte ich schon lange im Kopf und nun endlich die Zeit gefunden, das aufzuschreiben.
Interessant ist auch der Fortsetzungsroman:
https://wortaxt.de/das-geheimnis-des-praefekten-1/
Das erste Kapitel ist das schwierigste, danach wird es einfacher zu lesen,
Viele Grüße,
Mathias
[…] Oft treffen sich bei gutem Wetter im Park oder Zoo Schachspieler*innen im Freien und spielen gegeneinander. So etwa auch am Karlsruher Schloss. […]
[…] und das gute Wetter genießen. Einen netten Bericht zu dieser Freischachanlage lässt sich auf dem Blog von Mathias, dem Schriftführer von ÜBÜ […]