Julian und Brazzo

Julian, sehr laut: „Brahaaazzohh?“

Brazzo, genervt: „Ja Julian?“

Julian: „Hast du meine grünen Streifensocken gesehen? Ich kann sie einfach nicht finden.“

Brazzo, wütend: „Keine Ahnung mein Schatz, kümmere dich doch bitte einmal im Leben selbst um deine Angelegenheiten, blöde Kuh.“

Julian, laut jammernd: „Du wirst immer gleich vulgär, sowas würdest du dem Rummenigge niemals an den Kopf werfen, Miststück.“

Brazzo, laut: „Was ich dem Rummenigge erzähle, geht dich nichts an!“

Julian, ganz beiläufig: „Ach, der ist doch sowieso eine ganz miese Schlampe, der Rummenigge.“

Brazzo, lamentierend: „Wie bitte? Miese Schlampe? Und was war damals mit dem Hoeneß? Mit dem bist du einfach übers Wochenende nach Malle abgehauen. Und ich habe mal wieder die ganze Zeit in die Röhre geschaut.“

Julian, lacht schallend und erwidert: „Da war überhaupt nix, mit dem Hoeneß, der ist doch ein alter Mann, das bildest du dir doch nur ein. Bist halt ein Depp.“

Brazzo, grinst blöde:
„Gerade einmal zwei Jahre in München und schon versuchst du wie ein Münchner zu klingen. Das ist soo lächerlich, jeder merkt es, außer dir.“

Julian, herzhaft lachend: „Ach ja? Das sagt ja genau der richtige.
43 Länderspiele für Bosnien und Herzegowina und nur 6 Tore, ich gratuliere zu dieser Glanzleistung. Und überhaupt, wo liegt denn dieses Bosnien und Herzegowina?“

Brazzo, ruhig: „Schau doch mal im Bad nach, vielleicht liegen deine Socken ja dort, in der Dreckwäsche, direkt neben Bosnien und Herzegowina. Ignorant, blöder.“

Julian geht ins Badezimmer und knallt die Türe hinter sich zu. Auf einmal hört man, dass eine größere Menge Glas laut klirrend auf den Fliesenboden fällt.

Brazzo: „Was ist denn jetzt schon wieder los?“

Julian: „Ich habe die Socken gefunden, die haben sich im Spiegel verklemmt.“

Brazzo schreit: „Im Spiegel verklemmt? Das glaubst du doch selbst nicht.“

Senkt die Stimme und murmelt in sich hinein:

„Hätte ich den nur nicht geheiratet. Damals in Venedig, da war ja alles noch in Ordnung. Canale Grande, Rialto Brücke, Piazza San Marco. Abends dann die schöne Suite im Gritti Palace.
Da haben wir Fünfe auch mal gerade sein lassen. Locker war er damals drauf, schneidig, schick.

Im Bett eine echte Kanone. Nur zum Essen sind wir damals aufgestanden. In die schönsten Restaurants hat er mich geführt, überall standen Blumenvasen voll roter Rosen.“

Beim Gedanken an diese Flitterwochen werden Brazzos Augen plötzlich ganz glasig und er spürt einen dicken Kloß im Hals.

Wieder zurück in München, grauer Alltag. Champions League, Pokal, Liga.
Jeden Tag ist er unterwegs, der Julian.
„Trainieren“, wie er immer sagt, „Säbener Straße“.
Kein Wort glaub ich ihm.

Julian kommt aus dem Bad. In der Zwischenzeit ist er frisch geduscht und trägt nur ein rosarotes Badetuch mit aufgestickten Edelweißblüten um die Hüfte.

Brazzo, mit ganz samtiger Stimme: „Fesch schaust aus, schönes Tuch, wo hast du das denn her?“

Julian senkt den Kopf und überlegt ein paar Sekunden:
„Hat mir der Ulli geschenkt, vor langer Zeit, entgegnet er etwas verlegen.“

Brazzo steht eine ganze Weile vor Julian und betrachtet fasziniert das Badetuch, bis er auf einmal verzweifelt schluchzt. Erst ganz leise, fast unhörbar, dann immer lauter.
Schließlich kreischt er mit schriller Stimme:
„Ulli, Ulli, immer Ulli!“.

Mit schnellen Schritten hastet er ins Wohnzimmer der Ferienvilla, dort erstreckt sich ein hellblauer Flokati über den ganzen Raum.
Hinter der Glaswand erblickt man den Starnberger See. Gerade versinkt die pinkfarbene Sonne im glühenden Alpenpanorama.

„Ulli, Ulli, Ulli, ich kann den Namen nicht mehr hören.“ Quäkt Brazzo in den Raum.

Julian rennt mit aufgerissenen Augen hinterher. Brazzo bewirft ihn mit dem ganzen Nippes, der auf verschiedenen, geräumigen Kommoden steht. Schützend hält sich Julian die Hand vor das Gesicht.

„Nein, nicht das Murano-Glas, bitte nicht mein Schatz, ist doch von unserer Reise, Venedig, das war doch schön dort.“ Fleht Julian.

Brazzo hält inne und wirft sich, noch jammernd, auf die Couch.

Julian legt den Arm um Brazzo und versucht den aufgeregten Bayern-Funktionär zu beschwichtigen.
„Weißt was Schatzerl? Ich ruf jetzt den Ulli an und den Kalle. Und dann gehen wir alle zum Italiener. Zu deinem Lieblingsitaliener, ist das nicht eine tolle Idee?“


Hinter dem großen Samtkissen blinzeln auf einmal zwei glückliche, funkelnde, schwarze Augen hervor.
„Zum Italiener? Mit Ulli und Kalle?, ja, das machen wir. Und später wollen wir es auch noch ganz gemütlich haben hier. Ich freu mich, mein Liebster.“

Julian seufzt erleichtert auf, während er seiner Maniküre den letzten Schliff verpasst.

über den Autor

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

kommentieren

Neueste Kommentare

Neueste Beiträge

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

Kategorien

Seiten