„Ja, die alte Adresse, und bringe doch bitte dieses Päckchen mit, das du in Tokio abliefern solltest, der Inhalt interessiert mich.“
An das Päckchen hatte ich die ganze Zeit nicht mehr gedacht, die Erinnerung daran trifft mich wie ein Schlag. In Tokio habe ich es achtlos ins Gepäck geworfen.
Als sich meine erste Verwirrung legt, sage ich: „Natürlich Jacques, ich bringe es mit und machen uns ein Spiel daraus, jeder darf drei mal raten was drin ist, der Gewinner bekommt eine Kiste Champagner.“
„Bis heute Abend mein Freund“, ruft mir Jacques entgegen, während er schnellen Schrittes in seiner Bibliothek verschwindet.
Ich mache einen Spaziergang am Seineufer.
Die Passanten tanken Wärme.
Es geht am Musée d’Orsay entlang, wo es eine wunderbare Ausstellung mit den Bildern von Edgar Degas gibt, leider ist das Museum geschlossen.
Als ich an das Päckchen denke, das im Zimmer liegt, fällt mir der mexikanische Surrealist Luis Buñuel ein.
Es gibt einen Film von ihm, Belle de Jour. Die wunderschöne Catherine Deneuve öffnet darin ein ominöses Kästchen und erschreckt dabei ganz fürchterlich. Sie ist nicht die einzige, denn jeder, der dort hinein schaut, wendet sich angeekelt ab. Der Inhalt bleibt dem Zuschauer verborgen.
Phantasie und Realität sind bei Buñuel irrlichternde Glühwürmchen. Einmal hat er gesagt:
Die Welt wird immer absurder. Nur ich bin weiter Katholik und Atheist. Gott sei Dank!
Auch ich bin Katholik.
Jedesmal, wenn es einen neuen Missbrauchsskandal gibt, empöre ich mich und will spontan austreten.
Leider wirkt ein unsichtbarer Bannkreis. Sobald ich in die Nähe des Standesamts gelange – dort gibt es die Formulare für diesen Verwaltungsvorgang – drängt mich eine unbekannte, mächtige Kraft zurück. Wahrscheinlich will Satan einfach nicht, dass ich meinem Schicksal entfliehe, die Drecksau.
Aber was ist in denn nun dieser Kiste? Die sexuelle Offenbarung? Eine Reliquie? Verbotene Früchte? Etwas aus unserem Unterbewusstsein?
Und was ist drin im Päckchen? Drogen? Ein Stück Papier mit einem Bombenbauplan? Heute Abend weiß ich mehr.
In der Dämmerung steige ich in die Metro und fahre in den Pariser Norden.Natürlich ist der Aufzug noch kaputt. Am Stockwerk wartet der Junkie schon auf mich und greift sich sofort mein Bein, das gefällt mir nicht.
„Einen Schuss, ich will doch nur einen Schuss, gib mir doch einen Schuss!“
Ich schleppe ihn ein paar Meter mit, das ist kostenlos.
Dann trete ich ihn in die Eier.
Wimmernd lässt er los und schreit: „Einen Schuss, ich will doch nur einen Schuss, gib mir doch einen Schuss!“
Ich untersuche meinen Koffer, da liegt das Päckchen. Es soll ungeöffnet bleiben. Ich lege mich ein paar Stunden hin, als ich aufwache ist es dunkel. Nach einer Dusche rufe ich ein Taxi, es wird Zeit in die Stadt zu kommen.