Das Geheimnis des Präfekten, Kapitel 2

Tanaka ist wohlbeleibt und groß gewachsen, sein Körpergewicht drückt ihn bleischwer auf den Boden.

Sein Gesicht ist rund wie der Vollmond, der soeben über uns aufgeht und hat einen hellen Teint. Unter den buschigen, schwarzen Brauen verbergen sich lebhafte Augen, die mich aufmerksam beobachten.
Der Präfekt schätzt elegante Kleidung, sein Anzug changiert zwischen Dunkelblau und Silber, darunter sieht man ein, von seinem Bauch gewölbtes, makellos reines, elfenbeinfarbenes Seidenhemd.
Um den Hals trägt Tanaka ein Tuch in der gleichen Farbe. Die tiefschwarzen Haare reichen bis zum Nacken, ich überlege: Natur oder gefärbt?

„Ich freue mich, Sie zu treffen, Herr Präfekt“.
„Mein Lieber, die Ehre ist auf meiner Seite, auf diesen Augenblick warte ich schon lange“, der Präfekt richtet bei diesen Worten die Augen nach oben.

„Das Treffen kommt ganz unerwartet für mich, lieber Herr Tanaka, erst kürzlich war ich in Tokio, wo ich eher zufällig den alten Tenno getroffen habe“, ich bin nervös, meine Stimme überschlägt sich ein wenig.

„Das weiß ich, es interessiert mich nicht, hören Sie Mozart?“, Tanakas Blick durchbohrt mich bei dieser Frage.

„Er ist schwer zu spielen“, flüstere ich und senke dabei die Lider, „der Notensatz sieht einfach aus, man muss  die Töne unbedingt comme il faut treffen, sonst fällt alles in sich zusammen wie ein Kartenhaus aus Harmonien und Melodien. Ich liebe besonders die Violinsonaten, sie sind brillant, emotional, voller Tiefe und dabei gleichzeitig sehr virtuos“.

Tanaka sieht mich skeptisch an, entspannt sich schließlich und sagt lächelnd, fast jovial:

„Gut gesagt, ich habe mir nicht zu viel versprochen, kommen Sie, lassen Sie uns ins Haus gehen und etwas trinken“.

In der Vorhalle könnte man bequem 100 Personen bewirten. Die Wände sind bis zur Hälfte mit Blattgold ausgeschlagen. Darüber ist der Raum zartblau, in gleichmäßigen Abständen sind weiße Kirschblüten von Hand fein aufgemalt, sie werden von skizzenhaften Darstellungen japanischer Landschaften rhythmisch unterbrochen. Ich erkenne den Torii von Miyajima und die Inselwelt von Matsushima in Miyagi. Der Raum ist spärlich mit Möbeln ausgestattet, an der Wand steht eine lange Anrichte aus Ebenholz, darauf ruht ein großes, vielteiliges Imari-Porzellan Tee-Service in Kobaltblau und Safrangelb, dessen Teile sich wohl geordnet über das ganze Möbel verteilen, als gäbe es dafür einen bestimmten Plan.

Auf einem breiten Teppich aus blauer Seide liegen drei große Dalmatiner, die uns gelangweilt aus den Augenwinkeln beobachten.

„Kümmern Sie sich nicht um die Hunde, sie sind das Hobby meiner Frau, sie ist verrückt“. Tanaka seufzt und läuft schnellen Schrittes voran, „ich selbst bevorzuge Katzen“.

über den Autor

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

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