Das Geheimnis des Präfekten, Kapitel 3

Ich sehe meine kleine Wohnung mit der einfachen Küche und dem Balkon vor mir. Wenn es mir gut geht, ist sie mein Refugium, wo ich Gedanken zu Papier bringe, Interviews vorbereite und Artikel schreibe. Geht es mir schlecht, werden die Räume zu einem Gefängnis, aus dem ich am liebsten sofort ausbrechen würde. Dann gehe ich in irgend eine Bar und trinke Whisky, wodurch das Gefühl aber nicht vertrieben wird, ich muss ja irgendwann wieder nach Hause, alleine der Begriff nach Hause macht mich in solchen Stunden wahnsinnig, weil er mir die Freiheit abschnürt.

Es ist spät geworden. Zu dritt laufen wir schweigsam durch den Park, der zum Haus gehört.

Noch immer beleuchtet der Mond hell die Landschaft, in der Ferne erahnt man die Reisfelder.
Wir spazieren durch eine Zedern-Allee, die großen Nadelbäume verbreiten einen dichten Duft der sich wie eine Wolke um uns legt.

„Ich bringe Sie morgen in die Stadt, mein Freund, ich habe dort sowieso etwas zu erledigen. Ich würde Sie bitten, solange Sie hier in Kyoto sind, unser Gast zu sein, wir haben noch etwas zu besprechen“, sagt Tanaka mit einem Blick, den ich nicht richtig deuten kann.

Ich freue mich insgeheim darauf, vielleicht mehr über Nina zu erfahren und blicke sie kurz an, als würde ich auf ein Signal warten. Ihre Augen bleiben undurchdringlich.

„Einverstanden, Herr Tanaka“, bevor ich weitersprechen kann, werde ich unterbrochen. 

„Nennen Sie mich Kaito, das macht alles doch viel einfacher, nicht wahr?“

„Also einverstanden Kaito, ich nehme ihr Angebot an und bleibe gerne“. Bei diesen Worten, scheint ein kleines, fast unsichtbares Lächeln über Ninas Gesicht zu eilen.

Wir gehen zurück ins Haus, das gleiche Mädchen, das uns vorhin die Speisen gebracht hat, führt mich in mein Zimmer. Es liegt in einem abgelegeneren Teil des Hauses, ich öffne das Fenster und lasse die milde Nachtluft herein.

Die Nacht wird lang, schlaflos wälze ich mich im Leintuch.

Mitten in der Nacht erwache ich aus einem Albtraum, in dem ich mich selbst als alten Mann mit vertrockneten Hände sehe. Er sitzt vor einer riesigen Tastatur und schlägt immer wieder mit einem Hammer auf die überdimensionalen Tasten. Bis endlich in roter Schrift das Wort „Adieu“ zu lesen ist.

Endlich wird es Tag, beim Duschen versuche ich die nächtlichen Gedanken von mir abzustreifen, wie einen klebrigen Kaugummi von der Schuhsohle.

Nina und Kaito Tanaka sitzen, ganz europäisch, an einer Bar in der Küche und unterhalten sich leise.
Ich setze mich unsicher zu ihnen.

„Kommen Sie, Matias, essen Sie etwas, ein langer und interessanter Tag liegt vor Ihnen“, sagt Tanaka gut gelaunt und blickt mich einladend an.

Es gibt einen ausgezeichneten Kaffee, dazu ein Onsen-Ei und eine heiße Miso-Suppe. 

Ich erinnere mich an meine Mutter, die immer, wenn es mir nicht gut ging, etwas zu essen aufgetischt hat und mich mit den Worten „Mangia, che ti fa bene“, damit aufmunterte. Wie recht sie hatte, durch meinen Körper fließt frische Energie, die Gedankenschatten verschwinden.

Ich betrachte das Anwesen im Morgenlicht. Es gibt im Park einen großen Teich, in dessen Mitte sich ein sehr guter Nachbau des Tritonenbrunnens auf der Piazza Barberini in Rom befindet. Im Frühnebel sprudelt das Wasser in die Höhe und ergießt wellenschlagend in den See. Rechts neben dem Brunnen öffnet sich der Park und man sieht einen etwa einhundert Meter langen, ovalen Reitstall mit großen, holzgerahmten Torbögen. Man führt gerade mehrere Pferde hinein.
„Das sind meine Lieblinge“, spricht Tanaka halblaut zu mir, „morgen zeige ich Ihnen die ganze Anlage“, und weiter: „Nina kommt mit heute, Shopping in Kyoto“.

über den Autor

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

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