Das Geheimnis des Präfekten, Kapitel 3

Die Küche Japans ist visuell und voller Symbolik, sie spricht die Seele an. Wenn Sie in Europa etwas japanisches essen, serviert man Ihnen fast immer eine Mischung aus chinesischer Küche mit einem japanischen Einschlag, oft simples Sushi. 

Das Wort Kaiseki ist eng mit der Geschichte der Mönche in Japan verbunden, mit kleinen Mahlzeiten wurde der schlimmste Hunger überbrückt. Erst im Lauf der Zeit wurde Kaiseki zu dem, was es heute ist, ein technisch und ästhetisch anspruchsvoller Ablauf von verschiedenen Zubereitungen. Einige Gerichte könnten ohne weiteres im Kunstmuseum präsentiert werden.

Während wir eine Miso-Suppe essen, hebt Tanaka zu einem kleinen Monolog an:

„Ich habe das Glück, über der Realität zu stehen. Mein Vermögen erlaubt es mir, in diesen Zeiten, wo viele Tote unbemerkt in großen Gruben verscharrt werden, ein Leben zu führen, wie ich es mir vorstelle. Wir waren schon immer Geschäftsleute und wir wissen, wie man schwierige Situationen meistert“.

„Ihr Geld macht Sie zum Gott ?“ Frage ich gleichgültig.

„Selbstverständlich, das tut es, so lange ich lebe. Ich bin reich und verändere die Wirklichkeit. In der Katastrophe nutze ich die Freiheit, ich bin Optimist, man muss die Realität immer wieder neu interpretieren und anpassen.

„Die meisten Menschen haben nur die Realität, in der sie leben müssen“, werfe ich ein und probiere den Thunfisch mit Wasabi, Sake-Yuzu-Gel und hauchdünn geschnittenen, gegrillten Kartoffeln, das fruchtig-salzige Aroma legt sich dosiert auf die Zunge und fliegt mit Lichtgeschwindigkeit in die Nase.

„Ach, das ist eine Staatsangelegenheit. Ich mische mich nicht in die Politik ein, aber wenn es sein muss, versuche ich sie zu steuern. Die Menschen leben in ihrer Realität, weil sie sie so wollen“.

Ich lasse den Blick durch den großen Raum mit seinen vielen Büchern schweifen und denke über diese provozierende Gesellschaftsdiagnose und über meine eigene Realität nach.

„Wissen Sie, mein Lieber, der Tod betrifft zunächst einmal alle anderen außer uns, das ist ein schöner Trost. Für viele ist er sogar ein wunderbarer Rettungsanker, finden Sie nicht ?“ Tanaka sagt diesen Satz mit einem lebhaften Ausdruck im Gesicht, als würde er nur auf meine Replik warten, um sie dann ganz ruhig zu widerlegen.

„Ich lebe gerne, ich genieße das Leben, der Tod gehört leider dazu, daran lässt sich nichts ändern“, sage ich ungerührt und gieße mir noch ein Glas Sake ein.

Plötzlich hören wir eine laute Frauenstimme:„Das reicht jetzt Kaito, du verdirbst mit deinen morbiden Ansichten unserem Gast den Appetit“.

Wir unterbrechen das Gespräch, Madame Tanaka steht auf einmal in der Bibliothek und straft uns beide mit strengem Blick. Tanaka nimmt einen großen Schluck Sake.

In meinem Kopf beginnt wie so oft in solchen Situationen der Streit zwischen Mister Bad und Mister Good.

Mister Bad wohnt im letzten, fensterlosen Haus der Gedankenstraße.
Davor steht ein großer, grüner Ahornbaum. Darunter küssen sich die jungen Paare und wähnen sich dabei unbeobachtet. Mister Bad sieht aber alles und schweigt darüber, er ist ein verfluchter Voyeur.

Mister Good hingegen, betrachtet eine Frau von etwa vierzig Jahren, mit schwarzen, glänzenden Locken die fast zur Hüfte reichen. Über einer schmalen Taille fließt von den Schultern bis zu den nackten Füßen ein Kleid aus weißer Seide, das den den Blick auf die sanften Rundungen ihrer langen Beine erlaubt. Ihr Gesicht leuchtet matt im Widerschein des Seidenkleids. Die langen Wimpern glänzen dunkel unter den geschwungenen Brauen. Ihre Augen sind ein smaragdgrüner Urwald auf einer dreidimensionalen Google-Maps Karte. Auch er ist ein Voyeur.
Die beiden fangen an zu diskutieren, das hasse ich.

Mister Bad:“Hey, Beschreibungen sind meine Aufgabe“. 
Mister Good:“Mach es besser!“

Unruhig dreht Madame sich um und ruft ihre Hunde. Der Rückenausschnitt geht knapp unter die Taille. Die Dalmatiner Tick, Trick und Track legen sich gehorsam vor ihre Füße und schauen mich durchdringend an.

Ich vertreibe Mister Good und Mister Bad und nehme noch einen Schluck Sake.

Wir stehen auf und verbeugen uns.

„Mein Name ist Matias Gutman.“.
„Nina, das ist der Journalist aus Deutschland“.

Ninas Blick rollt wie ein Schnellzug auf freier Strecke auf mich zu.

„Bitte lassen Sie sich nicht von meinem Mann in diese trockenen Gespräche verwickeln, wir wollen uns amüsieren“, sagt sie und setzt sich zu uns.

Wir essen ein Yakimono mit Wagyu-Rind. 

„Wir leben hier abgeschieden, Mr. Gutman, ich hasse dieses Leben hier und liebe es gleichzeitig, das Haus ist viel zu groß. Manchmal besuchen uns Freunde aus der Stadt oder aus Europa. Es immer etwas besonderes, wenn jemand kommt und uns aus dieser Eintönigkeit reißt. Schauen Sie sich doch einmal hier um, ich muss in einem Museum leben.“ Sagt sie und zuckt dabei leicht resigniert mit den Schultern.

„Du hast alles was du willst Nina, mehr kann man nicht verlangen.“ Die Frau schweigt, als ihr Mann das sagt.

Wenn der Luxus zum Alltag wird, ist alles plötzlich nichts. Die Langeweile wird zum unbesiegbaren Feind, der die Gedanken belagert und ständig unser Gemüt angreift.

über den Autor

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

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