Das Geheimnis des Präfekten, Kapitel 2

Wir fahren schweigend hinaus aus der Stadt, Tanakas Villa liegt auf dem Lande. Das Abendlicht bricht in den Baumwipfeln und wirft dunkelrotes Licht auf den Asphalt. Aus Blattgrün wird Nachtblau.

Rechts und links der Straße schwingt sich der Bambuswald in die Höhe wie eine gotische Kathedrale. Ich lasse das Autofenster herunter und atme die frische Luft in tiefen Zügen ein. Die Gegend wird hügelig, auf den Terrassen sieht man grüne Reisfelder. Die Landschaft verglüht mit den letzten Sonnenstrahlen. In der Ferne glänzt ein goldenes Dach, es muss die Villa des Präfekten sein, wir erreichen sie bei Anbruch der Dunkelheit.

Kaum steige ich aus der Limousine, reicht mir jemand ein heißes, nach Eukalyptus duftendes Tuch. Mandeläugige Amazonen auf weißen Pferden tauchen auf, sie tragen römische Helme, sind mit Leopardenfellen bekleidet und rufen „Salve“.

Ein wenig verunsichert laufe ich die Treppe, die auf der rechten Seite von einer glatten, sich leicht verjüngenden, dunklen Betonmauer eingefasst ist, langsam empor. Ein breites, rotes Band ist in die Stufen eingelassen, endlos scheint diese mächtige Treppe in die Höhe zu führen. Im Inneren der gläsernen Stufen schwimmen bunte Kois, die mich mit ihren großen Fischaugen anglotzen.

Das große goldene Dach im Pagodenstil schwebt über einer Beton-Konstruktion, die bogenförmig aus dem Fundament wächst, der Präfekt ist kein Freund des rechten Winkels.

Vor dem Portal aus Palisander-Holz steht Tanaka und hört eine Arie aus dem ersten Akt des Don Giovanni:

Auftritt Leporello

Notte e giorno faticar
per chi nulla sa gradir;
piova e vento sopportar,
mangiar male e mal dormir!
Voglio far il gentiluomo,
e non voglio più servir,
no, no, no, no, no, no,
non voglio più servir!

O che caro galantuomo!
Voi star dentro colla bella
ed io far la sentinella!
Voglio far il gentiluomo, etc.
Ma mi par che venga gente…
Non mi voglio far sentir, etc.

Jemand stellt die Musik ab.

„Ah, da ist er ja“.
Während wir uns verbeugen, lächle ich und versuche dabei, entwaffnend zu wirken. Für einen kurzen Augenblick betrachte ich wortlos den Präfekten.

über den Autor

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

kommentieren

Neueste Kommentare

Neueste Beiträge

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

Kategorien

Seiten