Das Geheimnis des Präfekten, Kapitel 12

„Wo geht es hin?“ Frage ich.

„Finde es heraus“, erwidert sie und beschleunigt ihre Schritte. Sie blickt nach allen Seiten, um sich zu vergewissern, dass wir nicht verfolgt werden.

Mit belegter Stimme frage ich:
„Was soll das, wo gehen wir hin?“

„Das tut nichts zur Sache.“

Wir laufen schweigend weiter.

Die Feuchtigkeit treibt Dunstwolken über den Asphalt. Ein paar Schwäne pflügen gemächlich durch das trübe Wasser der Seine. Ab und zu tauchen sie mit ihren langen Hälsen hinunter, um nach Futter zu suchen.

Ich starte noch einen letzten Versuch und frage: „Wohin gehen wir?“, dabei neige ich – in einem Anfall von Albernheit – den Kopf ein wenig zur Seite, wie der Schwan, den ich gerade im Vorbeigehen beobachte.
„Lassen wir das, bitte keine Konversation.“
Sagt sie trocken.

Ich gebe auf und lasse mich auf das Spiel ein.

Wir gehen durch die blutleere, leblose Stadt.
Die Frau beschleunigt ihre Schritte, ich ziehe das Tempo an, um mitzuhalten.

Ein Auto hält am Straßenrand, hastig steigen wir ein.
Der Fahrer versteckt sein Gesicht hinter einer FFP2-Maske.
Wir verlassen die Gegend und fahren nach Norden.
Bald gibt es keine Sehenswürdigkeiten mehr, keine monumentalen Bauten, keine prachtvollen Boulevards.

Nur noch graue Wohnkomplexe. In dieser trostlosen, apokalyptisch anmutenden Stadtlandschaft steht an jeder Ecke eine Blechtonne in die man brennbares Material wirft und anzündet.
Die Menschen wärmen sich am Feuer.

Irgendwann sagt meine Reiseleiterin zum Fahrer:„Anhalten“.
Wir steigen aus und sind mitten auf einem trostlosen, verwaisten Platz, der nur von einem fahlen Mond mit schwarzen Wolken beleuchtet wird.

„Ich hoffe, Sie begleiten mich noch ein wenig meine Liebe“, sage ich mit einem Anflug von Ironie.
Wir schweigen und laufen.
Der Wind ist so kalt, dass meine Fingerspitzen sich in die Handballen krallen um ein Gefühl der Wärme zu erzeugen.
Es fängt an zu schneien und ich ziehe den Mantelkragen tief ins Gesicht.

über den Autor

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

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