Das Geheimnis des Präfekten, Kapitel 7

Ob Kitano da ist?

Im Büro sitzt seine Sekretärin auf einem weißen Stuhl. Es muss seine Sekretärin sein, es ist Kitanos Vorzimmer.

Ihr Kopf ist sauber vom Hals abgetrennt und liegt wie eine Bowlingkugel, mit dem Gesicht nach oben, auf der Tastatur. Ein hübsches Gesicht mit ebenmäßigen Zügen und tiefschwarzen Haaren auf dem Kopf.
Auf ihrem Schreibtisch vermischen sich Papiere, Stifte und andere Utensilien mit einer großen Menge Blut zu einer Art Action Painting.

„Hallo, jemand da?“
Keine Antwort.
„Mr. Kitano?“
Keine Antwort.
„Überhaupt jemand da?“
Keine Antwort.

Die Türe zu Kitanos Büro ist halboffen.
Vorsichtig betrete ich den Raum.

An den Wänden hängen große Gobelins die aus dem 18. Jahrhundert stammen könnten.
Auf einem dieser riesigen Wandteppiche wird die Königstochter Psyche bei der Schönheitspflege dargestellt.
Sie sitzt neben einem Brunnen und lässt sich von einigen Dienstmädchen ihre Haare kunstvoll frisieren.
Die Dienerinnen sind allesamt von ihrer Schönheit durchdrungen. Auf einem Tablett werden Puder und Parfüm überreicht. Kein Zweifel, sie bereitet sich auf ihre erste Nacht mit Amor vor.

Hinter dem Schreibtisch sitzt Kitano in einem Drehstuhl aus Leder und blickt wortlos aus dem Fenster.
Ich nähere mich langsam und rufe dabei seinen Namen.
„Mr. Kitano, Ihr Päckchen ist da.“
Keine Antwort.
Ich gehe zum Fenster und drehe den Stuhl in meine Richtung, Kitanos Körper fällt leblos zur Seite.
Sein Gesicht ist weiß, aus einer leeren Augenhöhle hat sich ein Blutrinnsal über seinen hellblauen Anzug ergossen. Er strahlt noch Wärme aus.
Ich hole das Auge hervor und versuche es, in die leere Augenhöhle zu drücken. Mir wird klar, dass das nicht Kitanos Auge ist, selbst mit einiger Kraftanstrengung lässt sich das elastische Organ nicht an die vorgesehene Stelle schieben, außerdem passt die Augenfarbe nicht zu seinem anderen Auge.
Es passt nicht in sein Gesicht.

über den Autor

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

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