Das Geheimnis des Präfekten, Kapitel 1

Die Wände sind mit kunstvollen Tapeten bezogen, darauf sind fliegende Kraniche und Kirschblüten abgebildet. Hinter einer weiteren Schiebetüre befindet sich die vollautomatisierte Toilette, während der Benutzung kann man aus einer Playlist die gewünschte Beschallung auswählen.

Ich schwanke zwischen Yellow Submarine, Forellenquintett und Ballade pour Adeline, entscheide mich schließlich für Anarchy in the UK von den Sexpistols.

Right now ha, ha, ha, ha, ha
I am an anti-Christ
I am an anarchist
Don’t know what I want
But I know how to get it
I want to destroy the passerby…
…I want to be anarchy
And I want to be anarchy
(Oh what a name)
And I want to be an anarchist
(I get pissed, destroy!)

Ich notiere letzte Gedanken für den Kurs am nächsten Tag: Keine Maskottchen, keine Schulmädchen, kein Harakiri.
Das Handy klingelt. Präfekt Tanaka lädt mich zum Lunch in den Tempel ein, eine Überraschung, vielleicht hat er Wind von meinem Treffen mit dem Tenno bekommen und will sein Gesicht nicht verlieren.

Tanaka ist ein kultivierter Mann und pflegt einen luxuriösen Lebensstil. Man spricht von einem sagenhaften Vermögen. In Monaco liegt seine riesige Yacht, die „Mogambo“ vor Anker. Das Schiff hat er günstig von einem afrikanischen Potentaten erworben, der beim Volk in Ungnade fiel und der nun in Saudi-Arabien sein Luxus-Exil genießt, allerdings ohne die „Mogambo“, ohne seinen Harem mit 140 Frauen und ohne die zwei Tonnen Diamanten, die er seinem Land geraubt hat, dafür ist ihm sein Kopf geblieben, Glück gehabt.

Die Yacht ist 160 Meter lang, verfügt über mehrere Liegewiesen, Whirlpools und natürlich über einen Hubschrauberlandeplatz, sie bietet Platz für 100 Gäste, es darf gefeiert werden.

In den Medien taucht Tanakas Name immer wieder im Zusammenhang mit den Yakuza auf. An dem Teflon-Politiker perlen diese Gerüchte jedoch wie der Morgentau auf einem Lotusblatt bei Sonnenaufgang ab.

Ich rasiere mich vor einem Spiegel mit zehnfacher Vergrößerung. Der Effekt ist beängstigend. Gesichtshaare verwandeln sich in einen mächtigen Urwald, kleine Pickel werden zu Vulkanen aus denen lautlos graue Asche steigt, rote Flecken sehen aus wie kochende Lava-Seen, Falten sind tiefe, schattenwerfende, trostlose Schluchten. Altersflecken mutieren zu dunklen, toten Meeren. Das Gelände wird schnell eingeschäumt und durchpflügt, bis alles glatt ist. Erleichtert wende ich mich vom traurigen Schauspiel ab.

über den Autor

Mathias Guthmann

Mathias Guthmann schreibt für kulinarische und literarische Zeitschriften und den Schachsport.
Seine Essays und Kurzgeschichten, Kritiken und Interviews haben eine hohe Reichweite und werden in verschiedensten Fachmagazinen, auch international, publiziert.

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